Wer war Dorothee Wyss?

Dorothee Wyss

«Dorothee Wyss ist für mich eine gleichermassen aussergewöhnliche wie gewöhnliche Frau, weil sie einerseits für ihr eigenes und das Leben ihrer vielen Kinder Verantwortung übernimmt und schlicht tut, was es zu tun gibt…» Jacqueline Keune, Theologin und Autorin

Historische Kenntnisse
Über Dorothee Wyss ist weit mehr bekannt als über die meisten Menschen ihrer Zeit, auch wenn sich aus den Quellen keine lückenlose Biografie erstellen lässt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit kam sie in der «Schwändi», oberhalb von Sarnen um 1430/2 zur Welt. Laut Historiker Robert Durrer war ihr Vater vermutlich der Bauer und Ratsherr Rudi Wiss.

Älteste Erwähnung von Dorothee Wyss: «Bruoder Clausen von Flü on Dorotheen (Weyßlig) siner ewirtin warend» … [Verenas] «vatter on muter»

Erstmals wird Dorothee Wyss 1495/6 im Jahrzeitbuch des Klosters Engelberg als «Dorotheen – ewirtin» (Ehefrau) von Bruder Klaus erwähnt. 1491 oder kurz davor stifteten Tochter Verena von Flüe und ihr Ehemann Hensli Onofrius eine ewige Messe. Diese Spende wurde vermutlich im Jahr 1491 fein säuberlich im Jahrzeitbuch des Kloster Engelberg eingetragen.

Dorothee Wyss wird explizit als Ehefrau von «Bruder Klaus» – einen Namen, den er nur in der Zeit im Ranft trug – bezeichnet. Und beide wiederum als «Vater und Mutter» von Verena von Flüe. Dies ist ein berührendes Zeugnis der Ehe von Niklaus und Dorothee bis in den Tod.


Eine der ältesten Darstellungen von Dorothee Wyss

Das Gedenkjahr 2017 hat neue Einsichten und überraschende Nuancen zu Tage gebracht. Eine der wichtigsten dürfte jene sein, dass heute kaum mehr von Niklaus von Flüe gesprochen werden kann, ohne seiner Frau Dorothee Wyss eine reflektierte, aktive Rolle im spirituellen Reifungsprozess des Friedensstifters beizumessen.

So neu scheint diese Wahrnehmung indes nicht zu sein. Aus der mutmasslich frühesten bildlichen Darstellung Dorothees tritt bei näherer Betrachtung eine erstaunlich moderne Auffassung entgegen. Die Darstellung ist Teil des anonymen Bilderzyklus aus dem 18. Jahrhundert im Mösli, der Kapelle des Bruder Ulrich auf der Kernser Ranftseite. Weiterlesen (Blogbeitrag 2017, P. Peter Spichtig op)

Das Ölbild eines unbekannten Künstlers in der Kapelle Mösli gilt als eine der ältesten Darstellungen von Dorothee Wyss (Bild links).

Nach diesem Originalbild hat Nelson Torres, Künstler aus Santafé de Bogotà, Kolumbien, ein eigenständiges Werk geschaffen (rechts).

Werkstattgespräch
Roland Gröbli mit Neslon Torres


Wachsendes Interesse anfangs der 1980-er Jahre

Mit dem Hörspiel «Ganz nah und weit weg» gab Klara Obermüller (*1940) anfangs der 1980-er Jahre der Frau an der Seite von Bruder Klaus eine kraftvolle Stimme. Seither ist das Interesse an Dorothee Wyss weiter gewachsen. Es gründet vor allem auf der Überzeugung der (westlichen) Zivilgesellschaft, dass Männer und Frauen Leben gestalten und formen und gemeinsam Geschichte schreiben. Es ist deshalb nicht mehr als «logisch» und folgerichtig, dass die Frau, ohne deren Einverständnis und Unterstützung sein Lebensweg nicht möglich gewesen wäre, immer mehr aus seinem Schatten tritt.


Unerwartete Perspektive: Handlungsfähigkeit der Frauen im 15. Jahrhundert

Eine unerwartete Perspektive auf Dorothee Wyss vermittelt die amerikanische Theologin Christina Sasaki  in ihrem Beitrag «Frauen des Mittelalters mit abwesenden Männern: Dorothee Wyss in bester Gesellschaft», Gedenkbuch 2017 «Mystiker. Mittler. Mensch.». Sie schreibt über die Situation der Frauen im 15. Jahrhundert.

Vor allem in der englischsprachigen Literatur finden sich gut dokumentierte Biografien von Frauen des 15. Jahrhunderts. Frauen, die verheiratet waren und dennoch allein lebten.

Ihre Männer waren abwesend. Weil sie gestorben waren oder aus beruflichen, militärischen oder politischen Gründen selten nach Hause kamen. Diese Frauen sprengten die Grenzen der geltenden Normen und agierten auf bemerkenswerte, aussergewöhnliche Art und Weise. Durch diese Frauen können wir Dorothee Wyss aus einer historisch verbürgten, spezifisch weiblichen Perspektive neu verstehen.

Christina Sasaki zeigt auf, dass alleinstehende Frauen über Handlungsfähigkeit verfügten, sofern drei Bedingungen erfüllt waren: Gesellschaftlicher Status, Grundbesitz und ein unterstützendes Netzwerk durch Familie und Freunde.


Über das Leben von Dorothee Wyss

Hedwig Beier befasst sich seit vielen Jahren mit Niklaus von Flüe und Dorothee Wyss. Die Gemeindeberaterin und Organisationsentwicklerin hält Vorträge, schreibt Texte, führt Seminare, Workshops und Coachings. Die Mutter von fünf Kindern lebt mit ihrem Mann in Haiming im Landkreis Altötting, Deutschland.

Seit vielen Jahren zieht es Hedwig Beier und ihren Mann immer wieder ins Flüeli und in den Ranft. Weshalb? Bruder Klaus ist Patron der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) Deutschland, in der beide mitarbeiten. Die KLB ist ihre geistige Heimat und dies fällt ihnen auf:

Nicht nur im Geburts- und Wohnhaus im Flüeli, sondern auch bei den Gottesdiensten und Andachten im Ranft oder anderen Orten, wird immer von Bruder Klaus und Dorothee gesprochen. Das freut Hedwig, denn für sie sind beide zusammen als Ehepaar lebendig und richtungsweisend.

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Leben und Bedeutung einer aussergewöhnlichen Frau

Das Grundlagendossier von Dr. Roland Gröbli zu Dorothee Wyss von Flüe (1430/2-1495/6) mit erstaunlich vielen Quellenangaben.
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Ein Leseheft zu Dorothee Wyss von Flüe
aus dem Grundlagendossier von Roland Gröbli schöpft das im März 2021 erschienene Leseheft «Dorothee Wyss von Flüe. Leben und Bedeutung einer aussergewöhnlichen Frau»

ISBN 978-3-905197-24-2, erhältlich am Wallfahrtsort, im Buchhandel sowie im online Shop

Ein Videobeitrag zum Leseheft «Dorothee Wyss von Flüe – Leben und Bedeutung einer aussergewöhnlichen Frau» mit Roland Gröbli und Jenny Donno

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